Schon während meiner Ausbildung zur Mütterpflegerin hatte ich erste Einsätze in Familien, in denen das Neugeborene ein älteres, schwerstmehrfachbehindertes Geschwisterkind hatte. Später wurde ich auch in Familien tätig, in denen das neue, viel zu früh geborene Baby beeinträchtigt ist, oder in denen Kinder mit psychischen Auffälligkeiten leben und daher eine Pflegestufe haben. Hier gibt es für die Eltern eine besondere Möglichkeit, Unterstützung im Alltag auf Kosten der Pflegekasse in Anspruch nehmen zu dürfen.
Ab Pflegestufe 1 kann der sogenannte „Entlastungsbetrag“ in Anspruch genommen und über die Pflegekasse abgerechnet werden. Anders als in der „klassischen“ Mütterpflege geht es hier also nicht darum, dass die Mutter vom Arzt ein Attest für die dringend benötigte Haushaltshilfe bekommt, sondern dass die pflegenden Angehörigen Entlastung im Alltag über die Pflegeversicherung ihres Kindes erfahren.
Eltern von schwerbehinderten Kindern haben vieles zu schultern. Egal ob durch Frühgeburtlichkeit, Erkrankung oder Gendefekt verursacht: der Schock über diesen „Schlag“ sitzt oft tief, und es gibt kaum Zeit, ihn zu verarbeiten. Denn nicht selten geht es um Leben und Tod und das Baby muss permanent versorgt und überwacht werden, ständig drohen z.B. Krampfanfälle oder Atemnot, jeder Infekt kann lebensbedrohlich sein. Das Leben spielt sich zwischen Zuhause, Klinik, Therapieangeboten, Kinderarzt und verschiedenen Spezialisten ab; die Wohnung füllt sich mit allerlei zusätzlichen und sperrigen Hilfsmitteln. Die Eltern funktionieren, können sich aber nie richtig erholen. Das beeinträchtigte Kind einmal für ein paar Stunden in fremde Obhut zu geben, kommt für viele gar nicht in Frage, denn es dürfen in der Pflege des Kindes keine Fehler passieren.
Oft ist es ein Elternteil, der ganz langsam in die komplette Selbstaufgabe rutscht und dessen Lebensinhalt die Fürsorge und Förderung des behinderten Kindes wird.
Gesunde Geschwisterkinder müssen oft sehr zurückstecken und die Partnerschaft droht, zu einer Zweck-WG zu verkommen oder ganz zu zerbrechen. Freunde wissen nicht richtig, wie sie sich verhalten sollen, und verschwinden allmählich aus dem Dunstkreis der Familie.
Dass eine Mütterpflegerin hier sinnvoll helfen kann und Unterstützung dringend benötigt wird, ist sonnenklar. Der bereits genannte monatliche Entlastungsbetrag darf dafür verwendet werden, auch das ist klar. Doch nun wird es leider kompliziert.
Abrechnen darf den Entlastungsbetrag nur, wer von der zuständigen Behörde eine „Anerkennung des Entlastungsangebots“ erhalten hat. Dafür muss man einen Antrag stellen, in dem man u.a. sein Arbeitskonzept darlegt, und verschiedene Unterlagen wie Gewerbeanmeldung, Führungszeugnis, Nachweis einer geeigneten Ausbildung etc. einreichen. Ist das Angebot (in unserem Fall: Anbieterform II) anerkannt worden, empfiehlt es sich, mit der jeweiligen Familie eine Abtretungserklärung zu unterzeichnen, so dass man mit der Pflegekasse direkt abrechnen kann. Andernfalls rechnet man mit der Familie ab, und diese holt sich das Geld von der Pflegekasse zurück – was ihre To-Do-Liste schon wieder verlängert.
In meinem Fall ist das Seniorenbüro des Landkreises Darmstadt-Dieburg für die Anerkennung zuständig. Dass ich alleine arbeite, nicht Teil eines Pflegedienstes bin, und dieses Angebot auch nicht meine Haupteinnahmequelle ist, stellte eine Herausforderung sowohl für das Antragsformular als auch für die Sachbearbeiterin dar – aber nach einigen Monaten Hin und Her und vielen Telefonaten war es geschafft.
Der monatliche Entlastungsbetrag beträgt z.Z. 131 €. Der abrechenbare Stundensatz ist gedeckelt auf 25 €. Das ergibt also eine Entlastungsleistung von ca. 5 h im MONAT. Nicht die Welt, oder? Trotzdem, alle 14 Tage einen Einkauf machen und eine leckere Mahlzeit (vor)kochen, oder den Nachmittag mit dem Geschwisterkind verbringen, das hilft schon auch. Es ist nicht nichts. Ganz abgesehen von der mentalen Stütze, die man als Gesprächspartnerin für die Eltern sein kann, die sich hier mal ausheulen dürfen. Diese 5 Stunden im Monat bringe ich auch noch unter, wenn ich gleichzeitig Wochenbett-Begleitungen habe. Und wenn ich es diesen Monat doch nicht schaffe, oder die Familie im Urlaub ist o.Ä., dann stehen im nächsten Monat 262 €, also ca. 10 h zur Verfügung, denn nicht verbrauchte Beträge addieren sich.
Der Stundensatz von max. 25 € liegt natürlich weit unter dem, was die meisten von uns normalerweise berechnen. Trotzdem möchte ich Euch gern ermutigen, in diese Form der Unterstützung einzusteigen, denn den betroffenen Familien nutzt der Entlastungsbetrag gar nichts, wenn sie niemanden finden, der ihn abrechnen darf.
(Gibt es andere hilfsbereite Personen im Umfeld der Familie, kann man die „Nachbarschaftshilfe“ anregen, die ebenfalls über den Entlastungsbetrag finanziert werden kann, wobei der Stundensatz unter Mindestlohn liegen muss– doch auch dafür braucht es eine Anerkennung von der jeweiligen Behörde.)
Ab dem Pflegegrad 2 stehen dem pflegebedürftigen Menschen bzw. dessen Angehörigen noch weitere Leistungen zur Verfügung. Die „Pflegesachleistungen“ können u.U. zu einem gewissen Anteil auch für die Beschäftigung einer Mütterpflegerin verwendet („umgewandelt“) werden. Solltest Du also mit einer betroffenen Familie in Kontakt stehen, ist das unbedingt zu prüfen.
Autorinnen-Information

Ich bin Juliane und lebe mit meinem Mann und dem jüngsten von 3 Kindern in Seeheim – Jugenheim. Seit 2023 arbeite ich in der Region Nördliche Bergstraße als Mütterpflegerin. An diesem Beruf begeistert mich, dass ich durch meine Arbeit oft buchstäblich einen Schlüssel zum Herzen der Familie in einer besonderen Situation erhalte.